Geschichte der Mundharmonika - die weltberühmte Knittlinger Oktav

Der Name Knittlingen ist mit der Geschichte der Mundharmonika, manchmal auch eher respektlos „Mundharfe“ oder gar „Goschenhobel“ genannt, eng verbunden. Neben Faust, dem Weinbau und den „Flippers“ trägt auch dieses kleine Instrument mit zum guten Ansehen der Stadt nicht nur in der näheren Umgebung bei.

 

Der Thüringer Friedrich Buschmann soll im Jahre 1821 die erste Mundharmonika überhaupt gebaut haben. Sieben Jahre später hat der aus Au in Südbaden stammende Drechslermeister Ignaz Hotz in Knittlingen ebenfalls eine Mundharmonika erfunden, ohne jedoch etwas von der Buschmann’schen Herstellung gewusst zu haben. Hotz, der 1824 nach Knittlingen, der Heimatstadt seiner Frau Anna Maria geborene Goll, der Tochter des örtlichen Hufschmiedes kam, stellte als Drechsler hauptsächlich Spinnräder her. Um den Frauen die Arbeit am Spinnrad kurzweiliger zu machen, kam er auf den Gedanken, Spielwerke in die Spinnräder einzubauen, die Volkslieder und geistliche Lieder spielten, wenn das Rad surrte. Da die Spielwerke mit ihren verwendeten Tonzungen meist nur ein oder zwei Lieder spielen konnten, ist Hotz vermutlich auf den Gedanken gekommen, ein Instrument zu bauen, in welchem die Tonzungen unabhängig von Walzen zum Klingen gebracht werden können.
Die damals weitverbreitete Maultrommel – möglicherweise auch die als Jahrmarktsartikel vertriebenen „Scheiblerschen Tonzungen“ – werden den Drechslermeister wohl auf den Gedanken gebracht haben, die Tonzungenreihe, zusammengestellt wie der Tonzungenkamm der Spielwerke seiner Spinnräder, mit dem Munde anzublasen.

Man weiß heute in der Fauststadt nicht mehr, wie Ignaz Hotz seine ersten Mundharfen gebaut hat und ob er Vorbilder hatte. Vieles spricht jedoch dafür, dass er seine „Knittlinger“, die er ab dem Jahre 1826 fabrikmäßig baute, selbst erfunden hat.
Ignaz Hotz war ein Mann, dessen Sehnsucht die große weite Welt war. So ist es nicht verwunderlich, dass ihn, als 1846 seine Frau starb, das Fernweh packte und er ein Jahr später mit seinen Kindern nach Amerika auswanderte. Nur sein ältester Sohn, Matthias Friedrich Hotz, damals 27 Jahre alt, blieb zurück und übernahm des Vaters Werkstatt.


Matthias Friedrich war es auch, der Knittlingen als Mundharmonikastadt weltbekannt machte. Indem er die zweite Platte eine Oktave tiefer stimmte als die Grundplatte, hatte er die Konzert-Mundharmonika erfunden, die als „Knittlinger Oktav“ in die Geschichte eingegangen ist.

Im Jahre 1896 starb Matthias Friedrich Hotz, sein ältester Sohn Johann Christian Friedrich führte das Unternehmen weiter. Als dieser am 14. Januar 1906 überraschend verschied, konnten sich die Erben über die Fortführung der Firma nicht einigen und verkauften sie deshalb kurzerhand an den Marktführer Hohner aus Trossingen. Dies, wie glaubhaft überliefert ist, obwohl keinerlei wirtschaftliche Gründe für den Verkauf sprachen, im Gegenteil. Für die Beliebtheit und die Bekanntheit der Knittlinger Erzeugnisse war bezeichnend, dass Hohner noch lange Zeit nach der Übernahme des Knittlinger Betriebes das Produkt unter der Marke „Hotz“ weiter vertrieb.

 

Bitter war der Verkauf für die anderen Mundharfenhersteller in der Fauststadt. Sie waren viel zu klein, um sich gegenüber dem mächtigen Unternehmen Hohner behaupten zu können. So verkauften auch sie oder stellten nach und nach ihre Produktion ein. Hohner hingegen baute das Knittlinger Zweigwerk weiter aus.

 

In den umliegenden Ortschaften Derdingen, Sternenfels, Zaisenhausen und Schützingen entstanden Filialen. Zuletzt waren hier um die 500 Menschen im Mundharmonikabau tätig, ehe die Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts den steilen Aufschwung jäh stoppte und den einst so blühenden Industriezweig schließlich ganz zum Erliegen brachte. Hohner schloss sein Knittlinger Werk recht rasch, die Fachkräfte siedelten teilweise nach Trossingen über.

Die Konzert- oder Oktavharmonika wurde und wird in Fachkreisen kurz „Knittlinger“ genannt. Hotz blieb in der Fauststadt auch nicht der einzige, der Mundharfen herstellte. Bis zur Jahrhundertwende entstanden mehrere kleine Betriebe, von denen die Firmen Peter Pohl und Johann Georg Egler die wohl bekanntesten waren.

 

Andere Produzenten hießen Johann Gottlieb Odenwald, Anastasius Grün, Josua Alexander Jäger, Gottlob Ludwig Jäger, Hermann Oskar Raunecker und Karl Ludwig Friedrich Hausherr. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren in Knittlingen rund 300 Menschen direkt oder indirekt in der Mundharmonikaproduktion beschäftigt. Diese war zwischenzeitlich zur Hauptindustrie des aufstrebenden Städtchens avanciert.

 

 

 

Einige hundert Harmonikamacher, Stimmer und Fräser wurden arbeitslos und waren genötigt, sich berufsfremd zu verdingen. In dieser schwierigen Zeit war es ein Glück, dass es der Stadtverwaltung gelungen war, andere Industrien, darunter vor allem die Polstermöbelfabrik Carl Straub anzusiedeln, so dass eine Katastrophe verhindert werden konnte.


Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges haben heimatvertriebene Deutsche aus anderen Mundharmonika-Hochburgen, aus der Graslitzer Ecke und aus Klingenthal zwar versucht, die Knittlinger Harmonikaindustrie wieder in Gang zu bringen, doch blieb dieser Versuch leider erfolglos.


Heute erinnern deshalb nur noch zwei Institutionen an die alte Harmonika-Herrlichkeit der Stadt Knittlingen: die weltberühmte Knittlinger Oktav und das im Jahre 1927 ins Leben gerufene Mundharmonika-Orchester Knittlingen, das die Tradition der Musik- und Mundharmonika-Stadt Knittlingen auch in Zukunft pflegen will.

Quellen: „Geschichte der Mundharmonika“ von Fritz Meisel, Musikblatt 4/82; „Knittlingen – Geschichte einer Stadt“ von Karl Weisert.